Vom Winde verweht: Löwenzahn – Gummi der Zukunft?
In schöner Regelmäßigkeit werden wir gefragt, ob wir schon gehört hätten, dass Gummi aus Löwenzahn produziert werden kann? Genauer gesagt geht es um ‚Russischen’ Löwenzahn (Taraxacum koksaghyz). Unsere Antwort ist immer gleich: Das ist ein alter Hut. Thomas Edison, ein enger Freund des Autopioniers Henry Ford, hat die Tauglichkeit von Löwenzahl zusammen mit der hunderter anderer Pflanzen schon vor knapp 100 Jahren getestet. Es ging darum, eine unabhängige Quelle für Gummi zu finden, denn das britische Imperium hatte damals ein Quasi-Monopol (nur Frankreich besaß im kolonialen Indochina ebenfalls Gummipflanzungen). Der erste Weltkrieg hatte deutlich gemacht, dass ‚Kriege der Zukunft’ Räder statt Pferde brauchen. Die Einsicht führte im Nazi-Deutschland (das keine Kolonien mehr hatte) zur Entwicklung von Synthesegummi – ein weiterer Teil schändlicher deutscher Geschichte. Deutsche Chemiegiganten kooperierten mit den Nazis in der Entwicklung des Kunstgummis ‚Buna’ – was in Ansätzen auch gelang. Das Projekt kostete Tausenden von Zwangsarbeitern aus dem KZ Auschwitz , die die Buna Fabrik direkt daneben bauen mussten, ihr Leben.
Henry Ford versuchte dagegen eine Gummibaum-Plantage im Amazonas zu etablieren – schließlich hatten die Briten von dort im Jahr 1876 die 70.000 Gummibaum-Samen für ihr Gummi-Imperium gestohlen. Die Gummibäume in Fords ‚Fordlandia’-Plantage wurden jedoch schnell von Krankheit zerstört: Hevea Brasiliens gedeiht gut im artenreichen Regenwald, aber nicht in der Monokultur einer Plantage.
Ein weiterer US Versuch für eine alternative Produktion führte zur Anlage von Gummipflanzungen in Liberia. Noch heute ist nicht nur die größte Gummiplantage der Welt in Liberia –es herrschen dort womöglich auch die schlimmsten Arbeitsbedingungen in der Gummiproduktion überhaupt.
Aber zurück zum Löwenzahn. Das Hauptargument für Alternativ-Gummi aus dieser Pflanze ist wohl, dass sie in gemäßigten Klimazonen angebaut werden kann. Eine deutsche Reifenfirma hat (mit Zuschüssen der EU und diverser deutscher Regierungsstellen) Plantagen und eine Verarbeitungsanlage in Norddeutschland installiert (und in der Tat: Man kann aus Löwenzahn Reifen machen). Ein weiteres Argument der Befürworter ist, dass Gummibaumplantagen nicht flexibel auf Angebot und Nachfrage reagieren können: Ein Baum muß sieben Jahre wachsen, bevor zum ersten Mal gezapft werden kann. Löwenzahn ist dagegen eine schnell wachsende Pflanze, kann also je nach Bedarf gesät werden – oder nicht. Aber was sind die Kosten für diese Alternative – finanziell und für die Umwelt? Der ‚Russische’ Löwenzahn enthält 10% Gummisaft. Wieviel kann da von einer (verglichen mit einem Baum) winzigen Pflanze produziert werden? Gummibäume werden i.d.R. auch in Monokulturen gepflanzt, aber die Bäume können dutzende Male/Jahr gezapft werden. Zudem wird fast keine Agrarchemie benötigt, und das dichte Laub der Gummibäume absorbiert außerdem reichlich CO2. Der Anbau von Löwenzahn bedarf dagegen vermutlich reichlicher Kunstdüngergaben, um eine lohnende Menge Latexmilch zu produzieren – Baumwurzeln sind einfach so viel effizienter. Zudem liefert die (sub)tropische Sonne unvergleichlich mehr Energie für die Photosynthese der Bäume und damit die Produktion von Naturkautschuk: Rohlatex enthält 30% Gummitrockenmasse. Und nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob die vergleichsweise riesigen Flächen, die mit Löwenzahn bepflanzt werden müssten, nicht dringender für die Ernährung (lokal) benötigt würden? Was uns fragen läßt: Was soll dieser aufwendige Versuch, eine teure Alternative zu finden, wenn der ‚Ur-Gummi’ im Überfluß vorhanden ist: Die letzten hundert Jahre waren überwiegend von einem Überangebot an Kautschuk gekennzeichnet, zu Preisen, die oft unter den Produktionskosten lagen. Warum nicht einfach einen fairen Preis an die Kleinbauern und Zapfer zahlen, die somit auch mehr Anreiz hätten, ihre Bäume weiterhin gut zu pflegen?