Fair-Trade-Stipendium ermöglicht Ausbildung

© Marianne Landzettel

C. Nesyan strahlt, wenn er von seinem Sohn erzählt. Niksan ist 19 und studiert im zweiten Jahr am James College of Engineering. Der vierjährige Maschinenbaukurs kostet 20.000 Rs, darin enthalten sind Studien- und Examensgebühren, die Kosten für Bücher, den Schulbus und die Schuluniform.

Nesyan ist Gummizapfer und 20.000 Rs sind eine Menge Geld für ihn. Im Hof hinter dem Haus hält seine Frau, Pushbalila, sechs Kühe. Drei stehen gerade trocken, die anderen geben zusammen etwa 15 Liter Milch am Tag, pro Liter bekommt sie 30 Rs und auch den Mist der Kühe kann sie verkaufen. Was der Familie wirklich hilft, Niksans Ausbildung zu bezahlen, ist das über die Fair Trade-Prämie finanzierte Stipendium. Das Fair Trade-Komitee ist strikt: Für ein Stipendium muss nicht nur eine detaillierte Aufstellung der Kosten vom College vorgelegt werden, sondern auch gute Zeugnisse – nur wer mehr als 60% der möglichen Punkte erreicht hat, bekommt Geld. Für einen Kurs wie den, den Niksan absolviert, hat das Fair Trade-Komitee gerade das Stipendium von 8.000 auf 10.000 Rs pro Jahr erhöht. Ein ‚graduation course’, etwa vergleichbar mit dem Abitur, wird mit 3.125 Rs pro Jahr gefördert und für die Ausbildung zur Krankenschwester gibt es einen Zuschuss von 5.000 Rs jährlich. Die Schüler und Studenten können sich während der gesamten Ausbildung jedes Jahr um ein Stipendium bewerben und wenn mehrere Kinder in einer Familie in der Ausbildung sind, hat jedes ein Anrecht auf einen Zuschuss – so es die Bedingungen erfüllt. Nesyan kennt die Regeln genau, seine Tochter möchte im nächsten Jahr auch ein College besuchen. Nipsy ist 17 und im letzten Schuljahr. Sie möchte Elektroingenieurwesen studieren. Niksans College ist in Nagercoil, etwa 40km von New Ambadi entfernt. Morgens um 7.15 Uhr steigt er in den College-Bus, der Unterricht beginnt um 9 Uhr und endet um 16.30 Uhr. Um 18.30 Uhr ist er wieder daheim, was nicht gleichbedeutend mit Freizeit ist, an den meisten Tagen sitzt er noch zwei bis drei Stunden über den Hausaufgaben oder bereitet sich auf Prüfungen vor.

Niksan ist sehr erleichtert, dass das Stipendium für das zweite Jahr bewilligt wurde. Er besuchte eine Schule, in der in Tamil unterrichtet wurde, im College ist die Unterrichtssprache Englisch und deshalb hatte er während des ersten Jahres manchmal Mühe zu folgen. Aber inzwischen ist sein Englisch gut und das Lernen macht ihm Spaß. Wenn er seinen Abschluss hat, möchte Niksan im Ausland arbeiten, weil er hofft, dort mehr Geld verdienen zu können.Es ist ihm klar, dass es auch mit dem Fair Trade-Stipendium eine extreme finanzielle Belastung für seine Familie ist, ihn und nächstes Jahr auch seine Schwester ein College besuchen zu lassen. Sein Vater sagt, dass er beim Fair Trade-Komitee ein zinsfreies Darlehen beantragen wird, und er wird wahrscheinlich auch seine Rente beleihen müssen – egal was es kostet, sagt Nesyan, die Kinder bekommen eine Ausbildung. Die Stipendien und zinsfreien Ausbildungsdarlehen, die mit der Fair Trade-Prämie finanziert werden können, machen das Leben für Nesyan ein klein wenig einfacher.Neben Niksan ermöglichen Prämien aus fair gehandeltem Kautschuk jedes Jahr neuen Menschen eine Ausbildung.

FairTrade-Prämien fließen in Ausbildungsfonds

Shymala und ihre Enkelin Roopa wohnen in einem der so genannten „Line Rooms“ auf der New Ambadi-Kautschukplantage. Diese Unterkünfte sind zwar klein, aber bei den ArbeiterInnen dennoch sehr begehrt: Sie haben alle einen Stromanschluss, pro Einheit je eine Wasserzapfstelle und eine Toilette. Außerdem gehört ein Stück Garten dazu. Hier können die Familien für die Eigenversorgung Hühner halten oder Gemüse anbauen. Es gibt sogar eine Warteliste für die „Line Rooms“, denn als Alternative bliebe meist nur die Anmietung einer teuren Unterkunft in einem der umliegenden Dörfer.Shymala arbeitet in der Latexfabrik der Plantage. Sie ist Sprecherin ihrer Gewerkschaft, die nicht nur die Interessen der Arbeiter der Plantage vertritt, sondern auch für die Gummiarbeiter im ganzen Bezirk zuständig ist. Shymala ist außerdem Mitglied im „Joint Body“, dem gemeinsamen Gremium der Plantage. Dieses wurde gegründet, als FairDeal Trading von New Ambadi zum ersten Mal Kautschuk entsprechend den Kriterien des Fairen Handels kaufte. Der natürliche Latex dieser Plantage wird für die Produktion von Sportbällen in Pakistan eingesetzt.

Das Gremium trifft sich regelmäßig, Beschlüsse werden in einem Protokollbuch festgehalten. Dazu gehören Entscheidungen wie die, FairTrade-Prämien in einem Fonds anzusparen, aus welchem später die weiterführende Schulbildung von Kindern von PlantagenarbeiterInnen finanziert werden soll. Obwohl in Indien der Schulbesuch kostenfrei ist, haben nur die Kinder eine Chance auf eine gute Anstellung, die eine Privatschule besuchen können. Mindestens 90 Tonnen Gummi müssen im Jahr zu fairen Bedingungen gekauft werden, damit der Fonds groß genug ist, um daraus Stipendien zu finanzieren. Shymala hofft, dass Roopa zu den ersten Stipendiaten gehört. Sie möchte, dass ihre Enkelin Krankenschwester wird. Aber der dreijährige Kurs kostet über 4.000 Euro – ein Betrag, den sie mit ihrem Lohn nie bezahlen könnte. Eine zweite große Errungenschaft der Plantage sind Maßnahmen zum Erhalt des Ökosystems: die Firma hat die Akkreditierung der Plantage beim Forest Stewardship Council (FSC) finanziert – dem Kontrollsystem für verantwortungsvolle Waldwirtschaft, das einen ökologisch sinnvollen und nachhaltigen Anbau von natürlichem Kautschuk sicher stellt.

Das Recht auf (Aus-)Bildung

Es ist eines der Kernprinzipien des Fairen Handel, daß die Empfänger der Fair Trade Prämie alleine entscheiden, wofür sie dieses Extra-Einkommen ausgeben möchten. Im Falle des Fair Rubber Vereins sind die Empfänger die Kleinbauern und Gummizapfer unserer Lieferantenpartner. Aufgabe des Vereins ist es sicherzustellen, daß die Mitglieder die korrekte Fair Trade Prämie zahlen, das Geld weiterzuleiten, und später zu prüfen, ob die Empfänger auch diejenigen waren, die entschieden haben. Am Ende steht die Prüfung der Buchführung (was einfach ist, da die Fair Trade Prämien auf ein Sonderkonto überwiesen werden). Wichtiger ist das Protokollbuch des ‚gemeinsamen Gremiums’ (joint body), also der Gruppe der Plantagenbelegschaft (oder des Kleinbauern-Vorstands), die im Auftrag aller über die Verwendung entscheidet. Hat die Gruppe ohne ‚Fremdeinwirkung’ zum Wohle aller entschieden? Aus langer Erfahrung ist klar: Diese Menschen wissen selbst am besten, was sie am dringendsten benötigen. Trotzdem können sich völlig unerwartete Probleme ergeben. Ein joint body entwickelte ein ausgeklügeltes System zur Vergabe von Stipendien an begabte Schulabgänger: Gute Noten qualifizierten für die Teilfinanzierung von Studiengebühren, wobei jährlich nachzuweisen war, daß auch an der Uni die Leistungen überdurchschnittlich blieben. Soweit ersichtlich, ein gutes System – was konnte da schief gehen?

Wir hörten von einem jungen Mann, der trotz guter Noten keine Arbeit finden konnte. Es stellt sich heraus, daß manche Berufe schlicht Sackgassen sind (z.B. scheint es in Indien einfach zu viele Ingenieursabgänger zu geben). Und manche der Hochschulen sind wohl trotz hoher Gebühren nicht ausreichend qualifiziert, bieten keine einem späteren Berufsalltag angemessenen Inhalte ...Was tun? Der Joint Body ist nun am überlegen, ob z.B. Stipendien nur noch für berufsbezogene Ausbildungen vergeben werden sollen, um künftig schmerzhafte Enttäuschungen für ‚erfolgreiche Uniabsolventen’ zu vermeiden. Ein unerwarteter, eigenständiger Lernerfolg der ‚Betroffenen’.